Unsere verkorkste Gesellschaft

Unsere verkorkste Gesellschaft

von Stefanie Affolter

Illustration: Lea Huber


Ich denke oft darüber nach, wie das Leben wäre, wenn ich nicht in der Schweiz geboren wäre. Es wäre schwieriger und weniger privilegiert. Ich habe bemerkt, dass wir so dazu neigen, undankbar zu sein und unsere Privilegien nicht genug zu schätzen. Jeder, den ich kenne, hat sich sicher schon einmal über die Schule beschwert. Wie streng die Schule doch ist, wie viele Hausaufgaben die Lehrer aufgeben, wenn wir mitten in einer Prüfungsphase sind.

Dabei ist es ein purer Luxus, in die Schule gehen zu können und dafür nicht länger als eine halbe Stunde oder eine Stunde Weg zu haben. Dieser kann meist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Wenn der Zug oder das Tram nicht allzu voll ist, dann können wir uns bequem hinsetzten und uns noch schnell ein paar Französischvokabeln in den Kopf stopfen, oder für die Physikprüfung noch ein paar Formeln auswendig lernen.

Wir können uns glücklich schätzen, dass wir ein sehr gutes Bildungssystem haben, in dem man so ziemlich alles machen kann. Wir haben so viele Möglichkeiten und schätzen sie viel zu wenig. Ich überlege mir immer, was wohl wäre, wenn ich für einen Schultag drei oder vier Stunden Weg hätte, und diesen zu Fuss bewältigen müsste. Wenn ich in der Schule fehlen würde, weil sich meine Eltern die Schuluniform und Bücher nicht leisten könnten.

Wir beschweren uns immer, dass man dies und jenes nicht haben oder machen kann. Dabei haben wir es so gut in der Schweiz. Wir müssen uns keine Gedanken wegen Nahrungsknappheit machen und wir müssen nicht einen kilometerlangen Weg zurücklegen, damit wir Wasser haben. Wir können einfach den Wasserhahn aufdrehen und unsere Flasche auffüllen und haben sauberes Trinkwasser.

Wir sind nicht nur undankbar, sondern wir haben auch nicht sehr viel Wertschätzung für diese Dinge übrig. Für uns ist es komplett normal, dass wir immer irgendwo etwas zu essen und zu trinken kaufen können. Wir schätzen diese Möglichkeiten, die uns offen sind, nicht genug, wenn denn überhaupt. Ich bin der Meinung, dass, wenn man essentiellen Dingen, die selbstverständlich erscheinen, ein wenig mehr Wertschätzung und Dankbarkeit gegenüberbringen würde, man viel zufrieden mit seinem Leben wäre.

Jedes Mal, wenn ich denke, dass ich grosse Probleme habe, sei es in der Schule, mit Hausaufgaben oder einfach das Gesamtpaket mit Hobbys und allem, erinnere ich mich daran, dass es mir an absolut nicht fehlt, dass ich zum Überleben benötige.

Es gibt ein schönes und ehrliches englisches Sprichwort, dass diese Situation sehr gut beschreibt.

„The grass is always greener on the other side.“ Das bedeutet so viel wie, dass egal, was man hat, der andere immer noch etwas besseres hat. Man hat nie genug, mit dem, das man hat. Ich finde es schade, dass viele Leute nach diesem Prinzip handeln, denken und leben. Wir haben mehr als genug und brauchen nicht noch mehr.

Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr konsumfreudig ist und manchmal nicht merkt, wie viel man eigentlich besser machen kann.  Wir schätzen die Handwerker und Arbeiterschicht nicht mehr. Haben wir uns je über einen Müllmann oder einen Coop-Verkäufer Gedanken gemacht? Haben wir ihnen je für ihre Arbeit, die nicht sehr angenehm und trotzdem absolut unersetzbar ist, gedankt? 

Obwohl ihre Arbeit grundlegend für unseren Staat ist, wird sie schlecht bezahlt und hat einen schlechten Ruf. Wir sind die Leute, die immer davon sprechen, dass man etwas unternehmen muss und dabei die sind, die am wenigsten zu Sachen wie Abfallvermeidung und Recycling beitragen. Wir sind die, die etwas ändern müssen, aber wir wollen die Wahrheit nicht hören, weil man sonst ein wenig Bequemlichkeit oder Luxus aufgeben müsste.

 
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Die Menschen, die am wenigsten haben, können so viel geben und die Reichsten reut jeder Rappen, den sie abgeben sollen. Es geht nicht unbedingt um Geld, aber auch, wenn man etwas teilen soll. So viele können nicht teilen, besonders Kinder, die es gewohnt sind alles für sich zu haben. Ich muss leider zugeben, dass ich als kleines Kind meine Eltern auch nicht mit meinem jüngeren Bruder teilen wollte.

Mit diesem Artikel möchte ich Menschen dazu bringen, sich einmal mit der ein wenig mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Mir ist bewusst, dass nicht jeder so denkt, wie ich es oben beschrieben habe und ich möchte auch niemanden beleidigen. Ich hoffe einfach, dass ihr einmal über unsere verkorkste Gesellschaft nachdenkt.

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