Warum die Matura-Petition keine gute Lösung ist

Warum die Matura-Petition keine gute Lösung ist

Ein Kommentar von J.S.

Für die besonders Eiligen: Am Textende findet ihr eine Zusammenfassung des Artikels.

Wir – die wir diesen Sommer die Matura ablegen werden – sind ein Jahrgang wie keiner zuvor. Natürlich ist das eine Floskel, aber natürlich trifft dieser Satz trotzdem zu. Wir wissen nicht, ob wir überhaupt je wieder in die Schule zurückkehren werden ober ob jener Freitag, der 13. März, unser letzter Schultag gewesen ist.

Was feststeht: Im September werden einige von uns mit dem Studium beginnen und dafür ein Maturzeugnis benötigen – mit grosser Wahrscheinlichkeit werden sie dies, Stand jetzt, auch bekommen. Was aber auch feststeht: Um diese Matur zu erlangen, können wir nicht die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie die Jahrgänge vor uns. Die Umstände sind dafür einfach zu verrückt.

Doch wie genau wird diese Matur nun aussehen? Werden wir überhaupt die Maturprüfungen schreiben können oder sind wir Juni immer noch vom Corona-Fieber gepackt?

Eine neue Petition, die sich genau um diese Frage dreht, zirkuliert im Moment. Sie fordert, dass auf Abschlussprüfungen gänzlich verzichtet wird und stattdessen der Schnitt der «letzten 5 oder 7 Semester» zählen soll. Ist man nicht einverstanden mit der Note, so fordert die Petition die Möglichkeit einer zusätzlichen Mündlichprüfung, per Videoschaltung.

Innerhalb eines einzigen Tages sind über 23’000 Unterschriften zustande gekommen. Die Petition scheint die Schülerinnen und Schüler im Land zu elektrifizieren – und doch: Was sie fordert, ist nicht zu akzeptieren. Und zwar in vielerlei Hinsicht.

Das Problem der Vorbereitung

Laut der Petition gibt es drei Gründe, wieso man in diesem Jahr auf Abschlussprüfungen verzichten soll.

Die Gesundheit: Während der Anreise im ÖV, in den vollgepackten Prüfungszimmern und in den Schulhaustoiletten sei die Gefahr, das Coronavirus aufzuschnappen, zu gross.

Die Psychologie: Der Fernunterricht funktioniere vielerorts nicht, man werde gestört durch Geschwister, Eltern und schlechtes Internet, zusätzlich kann die mit den wirtschaftlichen Krisenschäden einhergehende Existenznot zu Angst führen. Unter diesen Umständen sei eine Prüfungsvorbereitung nicht möglich.

Das Gesellschaftliche: Neben Nachbarschaftshilfen und Unterstützung der Familie bleibe keine Zeit, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten.

Ohne Zweifel – diese drei Problemfelder bestehen und würden zweifellos zu Ungerechtigkeiten führen. Durch die von der Petition vorgeschlagenen Lösungen würden diese Ungerechtigkeiten aber keinesfalls beseitigt, sondern im Gegenteil verstärkt.

Verzerrungen befürchtet

Man kann nämlich nicht plötzlich Semester in die Maturnote einfliessen lassen, von denen man im Vorfeld gar nicht gewusst hat, dass diese für die Matur zählen würden.

Nehmen wir dazu das Beispiel einer Schülerin, die jeweils immer nur sehr knapp bestanden hat. In der fünften Klasse, in welcher die Naturwissenschaften abgeschlossen werden, wobei schon die ersten Maturanoten entstehen, wird diese Schülerin ihre Priorität ganz klar auf diese Fächer legen. Vielleicht wird sie sich sogar genötigt sehen, andere Fächer dafür zu vernachlässigen, weil die Zeit nicht reicht. Diese Schülerin hätte dann in der fünften Klasse zweimal eine 3 in Mathematik.

Zählen diese beiden Semester nun plötzlich für die Matur, hat diese Schülerin ein Problem: Die beiden Dreien ziehen ihren Schnitt nach unten, ihre Maturnote in Mathematik wird plötzlich ungenügend; die Schülerin besteht die Matur nicht, obwohl sie dies unter normalen Umständen problemlos schaffen würde.

Das wäre unfair; eine klare Verzerrung entstünde.

Falsche Gewichtungen

Die Petition ist sich dieser Verzerrung bewusst und schlägt vor: Bei einer «erwünschten Verbesserung der Note» könne man in einzelnen Fächern eine mündliche Prüfung per Videoschaltung ablegen. Das tönt ganz gut, verzerrt aber die ganze Situation leider nur noch stärker.

Plötzlich soll eine Mündlichprüfung, die üblicherweise 15 Minuten dauert, gleich viel zählen wie 5 Semester? Eine Viertelstunde also, bei der man nicht einmal physisch präsent ist, soll gleich stark ins Gewicht fallen wie dreieinhalb Jahre auf der Schulbank?

Das würde die ganze Note nur noch stärker verzerren – kurz: die vorgeschlagenen Lösungen sind nicht wirklich praktikabel.

Was nun?

Die Grundfrage allerdings bleibt: Wie soll eine unter diesen Umständen faire Maturaprüfung aussehen? Klar ist, dass sie nicht einfach wie in jedem anderen Jahr ablaufen kann. Zu viele Schulstunden wurden dafür verpasst.

Was die Lösung auf alle Fälle beinhalten muss, ist eine Kürzung des Stoffs. Dinge, die nicht im Unterricht besprochen worden sind, sollen auch nicht geprüft werden.

Doch reichen Stoffkürzungen als einziges Mittel? Wird damit wirklich jedes der von der Petition aufgeworfenen Probleme gelöst? Nein. Doch noch ist es zu früh, sich auf eine Antwort festzulegen. Die Situation ändert täglich und die Maturprüfungen stehen sowieso erst in zweieinhalb Monaten an.

Viel Zeit bleibt bis dahin nicht mehr, aber doch noch genügend. Es ist daher gut, dass die Petition Fragen aufwirft. Doch die Lösungen, welche die Petition vorschlägt für diesen Jahrgang, der wie kein anderer ist, sind die falschen.


Zusammenfassung:

Die Petition wirft die richtigen Fragen auf, doch ihre Lösungen gehen in die falsche Richtung und führen zu neuen Ungerechtigkeiten. Man kann nämlich nicht plötzlich Semester in die Maturnote einfliessen lassen, von denen man im Vorfeld gar nicht gewusst hat, dass diese für die Matur zählen würden. Die vorgeschlagene Mündlichprüfung hätte zudem ein viel zu grosses Gewicht im Vergleich zu den anderen Noten.

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