Buchkritik «Reportagen aus der Schweiz» von Niklaus Meienberg

Buchkritik «Reportagen aus der Schweiz» von Niklaus Meienberg

«Reportagen aus der Schweiz» von Niklaus Meienberg (1974)

von Jossi Schütt

Die Schweiz und ihre Nationalhelden – das ist eine oft belächelte Hassliebe. Hassliebe, weil nur schon die Frage, ob es sich denn überhaupt gehöre, einen dieser ältlichen Eidgenösschen zu verehren, die Schweizerinnen und Schweizer spaltet. Oft belächelt, weil wir dann – unter dem Strich – immer noch die kleine Schweiz sind. Dürfen wir überhaupt Nationalhelden halten oder ist das nur den grossen Franzosen nebenan oder den mächtigen Amerikanern erlaubt? Auch das ist eine Frage, die stark polarisieren mag, doch vordergründig wollen wir sie als unwichtig erklären. Wir wollen den Begriff des Nationalhelden – zumindest für die Länge dieses Texts – rein literarisch anschauen: Die Helden sind die Hauptfiguren grosser literarischer Werke und die Schweizer Nationalhelden sind demnach die Hauptfiguren grosser Schweizer Werke.

Niklaus Meienberg

Niklaus Meienberg

Und von diesen Nationalhelden gibt es im Buch «Reportagen aus der Schweiz» von Niklaus Meienberg einige. Es ist dies ein Sammelband voller Reportagen, die einem jede einzelne und jede einzeln aus den Socken hauen. Das Buch enthält acht solcher Geschichten, sie handeln von Diversem, es steht jedoch immer eine Person im Vordergrund. Diese Person muss einem gar nicht zwingende interessieren, man wird durch den Sog, der durch den bestechenden Schreibstil entsteht, trotzdem gierig Satz für Satz verschlingen. Es sind teilweise zum Brüllen komische Sätze, die so beissend und giftig sind, dass sie mich zwangen, laut loszulachen. Auch Schweizerdeutsch und einige Kraftausdrücke, gezielte Regelübertretungen sind Teil dieses Schreibstils.

Ein Beispiel: Die erste Reportage handelt von der Kindheit und Schulzeit des Autors in St. Gallen an der Kath. Sekundarschule, die ziemlich gründlich auseinandergenommen wird. So eine Person wäre zum Beispiel der Rektor der Schule («ein schwitzender Koloss von unerlöster Männlichkeit»), der «genau weiss, in welchem Glied der Teufel hockt.» Mit anderen Worten: Er will den Schülern die Erotik austreiben und sie in der «lüsternen Architektur» der Kathedrale in St. Gallen, an deren Decke die «vielen geilen Barockengel herumflattern», «zur Enthaltsamkeit vergattern». Diesem Rektor, wie unmissverständlich beschrieben, ist der Autor nicht unbedingt freundlich gesinnt. Wir aber mögen ihn irgendwie. Er ist einer dieser «Nationalhelden».

Ob man es glaubt oder nicht: Nachdem ich dieses Buch vor einem Jahr gelesen hatte, schaute ich die Leute um mich herum mit anderen Augen an. Sprüche gingen mir unzählige durch den Kopf, böse Sprüche. Trotzdem war ich mir bewusst, dass auch diese Leute für mich «Helden» waren: Hauptpersonen meines Alltags.

Mittlerweile allerdings habe ich diesen Tick etwas abgelegt.

Aber der Rektor, ist der wohl immer noch so eifrig bemüht, gegen die «teuflischen Verlockungen» zu kämpfen?


«Reportagen aus der Schweiz» kannst Du in der HoPro-Mediothek ausleihen.


 
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