«Mir scheint, die Politiker hätten Angst vor der direkten Demokratie»

«Mir scheint, die Politiker hätten Angst vor der direkten Demokratie»

Herr Jositsch, wie schätzen Sie meine Generation, die 15-bis 20-Jährigen ein? Sind wir eine Hypothek?

Nein, das würde ich sicher nicht sagen. Es ist eine Generation, die sehr stark in dem Wandel steht, in welchem wir aktuell stehen mit den sozialen Medien und der Digitalisierung und all diesen Fragen. Deshalb glaube ich: Eine Generation, die spezielle Herausforderungen hat und bei der alles ein weniger rascher ist als zu meiner Zeit. Aber sonst eine normale Generation, wie meine Generation auch.

Ist meine Generation weniger politisch als die Ihre?

Ja, wahrscheinlich – so, wie ich das wahrnehme.

Zeugt das denn von Verwöhntheit?

Das müssten Sie sich selber fragen. Das weiss ich nicht. Vor meiner Generation hatten wir politisch die 68er, nachher die 80er-Bewegung, die Umweltfragen. Politik war bei uns ein grosses Thema.

Soll Abstimmen ab 16 in der Schweiz erlaubt sein?

Das ergibt für mich jetzt wenig Sinn: Ich glaube, das Stimmalter 18 ist nicht schlecht. Wenn ich jetzt schaue, wie die Stimmabstinenz der 18-Jährigen ist, glaube ich nicht, dass man das Stimmalter noch weiter senken soll.

Würde das denn nicht genau das Gegenteil bewirken; dass eine stärkere Involvierung da wäre?

Das hat man auch gedacht, als man es von 20 auf 18 gesenkt hat. Ich war als 18-Jähriger wahrscheinlich mehr politisch interessiert als die meisten 18-Jährigen heute, die wählen und abstimmen können. Nur bin ich nicht sicher, ob dieser Zusammenhang wirklich besteht.

Waren Sie schon während der Gymizeit politisch aktiv?

Nicht unbedingt politisch aktiv. Ich würde sagen; politisch interessiert. Aber aktiv nicht.

Was hat dazu beigetragen, dass Sie politisiert wurden?

In meinem speziellen Fall waren es sicher die Umweltfragen. In den 80er Jahren ist das Umweltthema aufgekommen. Da wollte ich mich auch mit engagieren.

Einige Schüler bei uns sind bald 18. Für welche politischen Themen sollten sie sich vor allem interessieren?

Wahrscheinlich für diese Themen, die für sie relevant sind. Da ist zum Beispiel die Digitalisierung, die mit Wandel zu tun hat, und auf der anderen Seite gibt es die grossen Fragen: Migration, Umwelt…

…Europa?

Ja, ganz sicher.

In der Sendung Club im August diskutierten Sie mit SP-Ständerat Paul Rechsteiner (SG) und den beiden FDP-Nationalräten Christa Markwalder (BE) und Hans-Peter Portmann (ZH) über das Thema Europa. Interessant war für mich, wie die FDP-Nationalräte während Ihrer Voten stets zustimmend genickt haben, ihr Parteikollege allerdings nicht dergleichen getan hat…

…(lacht)…

…Deshalb will ich Sie fragen: Wären Sie bereit, mit den Parteien rechts der SP soweit im Bereich Europa zu kooperieren, bis möglicherweise in Ihrer Partei die Einheit nicht mehr gewährleistet ist?

Das ist jetzt eine sehr hypothetische Frage! Es ist so: Bis jetzt waren in Europafragen meine Partei, die FDP und die CVP gleicher Meinung. Und ich habe immer noch die gleiche Meinung wie vor einem halben Jahr. Nur gewisse Teile meiner Partei nicht. Also ist das in gewissem Sinne nicht mein Problem.

Aber gefährdet der Streit um den Lohnschutz in Ihrer Partei den europafreundlichen Kurs der SP?

Ich glaube schon. Aber eben: Meine Position haben Sie ja in diesem Fall. Ich habe keine andere als vor einem halben Jahr.

Sie beklagen in der selben Sendung, dass sich niemand traue, die «entscheidende Frage in der Europapolitik zu stellen». Planen Sie denn eine Abstimmung darüber?

Ja, ich glaube schon. Ich habe ja damit gemeint, dass man eine Volksabstimmung machen soll, mittels der sich die Bevölkerung über diese Frage aussprechen kann. Mir scheint, als ob die Politiker Angst hätten vor der direkten Demokratie. Das ist ja eigentlich komisch in einer direkten Demokratie.

Sie sagen in einem Interview, die SP sei in Europa wohl die linkste Sozialdemokratische Kraft. Macht sie da nicht eben gerade vieles richtig, zum Beispiel im Vergleich zu Deutschland, Österreich, Schweden, wo die zunehmend in die Mitte gerutschten Sozialdemokraten Wahlen verlieren?

(überlegt) Ich weiss es nicht. Die Frage, ob man Wahlen verliert oder nicht, ist meiner Meinung nach nicht entscheidend für die Ausrichtung einer Partei. Sondern geht es ja eigentlich um inhaltliche Fragen. Ich glaube aber, dass es zweckmässiger ist, wenn man sich mitte-links aufstellt. Diese Position vertrete ich – unabhängig davon, ob diese Parteien gerade Wahlen verlieren oder nicht. Vor zehn Jahren haben die gleichen Parteien Wahlen gewonnen. In zehn Jahren werden sie vermutlich wieder gewinnen.

Die SP ist als Partei mit stark polarisierenden Flügeln aufgestellt, die JUSO mit eingeschlossen. Empfinden Sie diese ewigen Flügelkämpfe in Ihrer Partei als belebend oder eher als blockierend?

Grundsätzlich sind sie zum Vorteil der Partei. Wenn Sie 20 Prozent der Wähler repräsentieren wollen [der Wähleranteil der SP bei den nationalen Wahlen 2015 betrug 18,8%, Anm. d. Red], dann können Sie nicht einfach eine Meinung haben. Stellen Sie sich jetzt vor, die SP würde sich reduzieren auf die JUSO-Positionen. Die JUSO hat – ich weiss nicht: – ein Prozent Wähleranteil. Das heisst, die SP lebt davon, dass diese Bandbreite abgedeckt wird. Das führt natürlich auch dazu, dass das immer wieder ein bisschen sichtbar wird: Es wird sichtbar durch diese Diskussionen und Konflikte. Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, dass es diese beiden Flügel hat und dass nicht der eine versucht, den anderen auszuschalten.

Und zum Schluss noch, frei nach John F. Kennedy, was können denn wir für Sie tun?

Beteiligen Sie sich an der politischen Diskussion: Wir haben in der Schweiz die direkte Demokratie. Aber die grösste Masse der Bevölkerung gehört zu den Stimmabstinenten – und das ist eigentlich schade. Wer interessiert ist, verdient es, Teil der Lösung zu sein.

Herr Jositsch, danke für das Interview.

Das Gespräch führte Jossi Schütt.

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