Reportage über den Klimastreik am 18. Januar – «Das sind die wahre Hueresöhn»
Freitag, der 18. Januar, Polyterrasse Zürich, die Sonne scheint. Ausblick auf den Üetliberg im morgendlichen Dunst, darüber stahlblauer Himmel. Es ist acht Uhr dreissig, und ausser uns kein Schwein auf der Terrasse.
Um Punkt neun Uhr dann rollt dann aber ein alter Fiat Panda-1000, dessen Dach mit zwei Lautsprechern bepackt ist, auf die Terrasse; gefolgt von einer Karawane von Menschen: «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut», skandiert sie. An diesem Freitag, schwänzen hunderte von Schülerinnen in Zürich die Schule wie schon an zahlreichen Freitagen davor, um die Politik auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Gestartet hat diese Aktion Greta Thunberg, die Ende 2018 zu Schulstreiks aufrief unter dem Motto «Fridays for Future». Seither streiken Schüler auf der ganzen Welt, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.
Der Streik beginnt, irgendwo in der Menge entdecken wir plötzlich einen Eisbären. Unbedingt wollen wir ihm einigie Fragen stellen, doch schon Augenblicke später ist er spurlos verschwunden. Eine Professorin für Klimadynamik an der ETH stapft auf eine Holzbank, greift zum Mikrofon, das mit den Lautsprechern auf dem Fiat verbunden ist, und setzt an zu einer Rede. Sie spricht über einen Klimabericht, den sie verfasst habe, und über die prekäre Lage des Klimas. Wir versuchen später, mit der Professorin für Klimadynamik an der ETH zu reden, doch sie erklärt uns, dass sie nichts mit dem Streik zu tun habe. Wir merken, sie ist sehr darauf bedacht, ihren Abstand zu dem Protest zu halten.

Die Reden: Ganz links auf der Holzbank die Professorin für Klimadynamik an der ETH, ©der springende punkt
Danach halten nun auch noch Schülerinnen Reden. Ein Mädchen spricht davon, wie wir als die Schweiz ein Vorbild sein müssten, mit einer Oberschicht und grossen Konzernen, die etwas ändern könnten, sie beklagt, dass niemand einen ersten Schritt mache. Immer mehr Demonstrierende sind jetzt da, die Terrasse füllt sich langsam.
Doch – warum sind diese Schülerinnen und Schüler überhaupt «da»? Das befragten wir einige der Teilnehmenden. «Zum zeigen, dass wir nicht einverstanden sind und dass mehr gemacht werden könnte», sagen Julie, Romina, Johanna, Melanie, die das Gymi Wiedikon respektive die Sek. Altstetten besuchen, «es geht zu langsam!»
«Das Klima muss gerettet werden», sagen auch einige Schüler aus Winterthur. Sisley, ein Sek-Schüler aus dem Schulhaus Milchbuck, trägt eine dicke North-Face-Daunenjacke und sagt, er sei da, um den Leuten zu helfen, als Masse aufzutreten. «Es ist eine gute Sache», sagen einige Schüler der Kantonsschule Zürich Nord, «aber er ist auch gut, nicht in die Schule zu gehen», fügen sie schmunzelnd an.
«Es ist ein Witz, dass nichts gemacht wird», echauffiert sich Franziska Newman, die mit ihrem 9-jährigen Sohn Gabriel an der Demonstration teilnimmt. Gabriel ist der einzige seiner Primarschule, der demonstriert. Er hat dafür einen Jokertag genommen.

Auch Politiker zeigen ihre Unterstützung für die Bewegung…, ©der springende punkt
Die Forderungen den Teilnehmenden unterscheiden sich stark. Einige wollen einfach, dass «irgendetwas» passiert. Andere stellen gezielte Forderungen an die Bürgerinnen selbst, zum Beispiel Selma vom LG Rämibühl: Weniger Fliegen oder weniger Fleisch.
Die meisten wollen allerdings, dass die Politik etwas ändert. Eine Kerosin-Steuer auf Flüge, bei Autos Abgaswerte korrekt messen, Steuern für Umweltprojekte nutzen, dies postulieren Meret, Lisa und Livia vom Gymi Rychenberg in Winterthur. Andere an dieser Schule fänden den Streik unnötig und machten sich darüber lustig («Aber ihr hend ja Papier für d Werbig verwendet»).
Genannt wird auch die bekannte Forderung der Klimabewegung, bis 2030 netto null CO2-Emissionen zu verursachen. Simon und Feli von der KS Limmattal glauben allerdings nicht, dass dies realistisch ist.
Vom Staat wird zudem gefordert, mehr Wert auf Umweltschutz legt, gerade im Vergleich zur Wirtschaft und Industrie, denn «das sind die wahre Hueresöhn», wie einige Schüler der HoPro sagen.
Ob aber die Politik konkret etwas ändern wird? Das bezweifeln die Schülerinnen und Schüler: «Hoffen und probieren» oder «Ich weiss nöd – ich glaub nöd» sind da häufige Antworten. «Die Politik hätte die Macht, etwas zu ändern!» sagt ein Schüler vom Rämibühl. Die Meisten hoffen, dass etwas geändert werden muss, wenn die Demonstrationen so weitergehen und der Druck auf die Politik erhöht wird. Viele sind überzeugt, dass es Zeit brauchen wird.
Es ist mittlerweile fast zehn Uhr, für die Schülerinnen an der HoPro, die nicht an den Streik gekommen sind (es sind die wenigsten gekommen), beginnt die Zehn-Uhr-Pause in Kürze. Plötzlich ist er wieder da, der Eisbär – wir stossen uns durch die Menge, doch er entwischt uns zum zweiten Mal.
Könnten denn die SchülerInnen nicht auch neben der Schulzeit demonstrieren? Die Meinungen sind gespalten. Viele sagen klar nein, sie glauben, dass ausserschulisch nicht so viele Schüler auftauchen würden. Dies hat sich mit der Demonstration vom Samstag, 2. Februar, an der schweizweit ein Vielfaches der Menschen teilgenommen hat, als falsch erwiesen.
Es ist aber sicher so, dass der Protest mehr Aufmerksamkeit erhält in Form eines Streiks. Er regt vielleicht auch zu mehr Konversation an den Schulen an. «Wenn wir die Schule schwänzen, um für Änderungen bezüglich des Klimawandels zu demonstrieren, setzt das ein Zeichen. Die Schule entscheidet über unsere Zukunft, doch sie ist nicht wichtiger als der Streik, weil wir keine Zukunft haben, wenn sich nicht etwas ändert», meint Konstanze von der Kantonsschule Zürich Oberland in Wetzikon.

Der Demonstrationszug auf der Bahnhofsbrücke, ©der springende punkt
Übrigens hat es nicht nur Jugendliche an der Demonstration: Die Seniorin Bea Camara hat die Klimakonferenz in Paris 2015 besucht. Sie sagt: «Je mehr Stunk es gibt, desto grösser ist die Chance, dass etwas geändert wird. In der Schweiz hat man noch nie etwas geschenkt bekommen.»
Zuletzt stellen wir die Frage aller Fragen: Wann die Schülerinnen das letzte Mal geflogen sind? Das stellt sich als ganz verschieden heraus. Es gibt Schülerinnen, die noch nie in ihrem Leben in einem Flugzeug gesessen sind oder das letzte Mal vor vielen Jahren. Die überwiegende Mehrheit allerdings ist im letzten Jahr mindestens einmal in ein Flugzeug gestiegen. «Upsi», sagt dazu einer der HoPro-Schüler, der gerade erst im Herbst nach Polen geflogen ist.
Klar ist, dass etwas geändert werden muss, denn der Klimawandel ist ein Problem, der uns alle betrifft. Aber ist das nun eine Sache der der Politik oder der Individuen, welche ihr Leben umweltfreundlicher gestalten müssten? Ob nun die Klimastreiks der richtige Weg sind, dieses Problem zu lösen, oder nicht, muss letztendlich jeder für sich selbst entscheiden.
Kurz vor dem Hauptbahnhof, als wir uns aus dem Streik schleichen wollen, um wieder in die Schule zu gehen, sehen wir wieder den Eisbären. Wir rennen ihm nach über das abgesperrte Sihlquai und erreichen ihn: Schon haben wir Stift und Block bereit, um mit ihm ein Interview zu führen, doch dann ist der Eisbär schon wieder verschwunden.

Der «Eisbär»…

…«Mira», ©der springende punkt