Die Neunziger

Die Neunziger

von Patrik Stainbrook


Musik ist nicht immer leicht durchschaubar. Obwohl viele populäre Rockbands über mehrere Jahrzehnte spielen und aufnehmen (Bands wie die Rolling Stones sind schon seit über 50 Jahren im Geschäft), ist ein grosser Faktor zur Einteilung von Rockmusik immer noch das Jahrzehnt. Dies mag einigen zu simpel erscheinen, doch auf nähere Betrachtung macht es eigentlich viel Sinn. Die Sechziger waren die Zeit der Hippies, die Achtziger die der Discomusik. Heute betrachten wir das Jahrzehnt, in dem Rock für viele das letzte Mal grandios war: Die Neunzigerjahre.

Die Neunziger, vor allem die erste Hälfte (1990-1995), war die goldene Ära alternativer Musik. Bands wie Nirvana oder Pearl Jam (Lesern schon bekannte Gruppen) stiegen ohne die Hilfe der grossen Record Labels in den Rock-Himmel hinauf. Doch wie genau konnten so viele unabhängige Musiker Ruhm erlangen? Was genau war ihr Erfolgsrezept? Und wieso erinnern sich noch heute so viele an ihre Alben?

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«Siamese Dream», The Smashing Pumpkins, 1993

The Smashing Pumpkins waren Ende 1992 nicht an einem glänzenden Punkt in ihrer Karriere. Obwohl ihr erstes Album («Gish», 1991) sich gut verkauft hatte und sie als «das nächste Nirvana» verkündet wurden, lief es genau deswegen im privaten Leben der Band nicht optimal. Schlagzeuger Jimmy Chamberlin litt an Heroinsucht, Gitarrist James Iha und Bassistin D’arcy Wretzky gingen durch eine schwierige Trennung, und am schlimmsten von allen erwischte es den Bandleader, Sänger und Songwriter Billy Corgan, der zutiefst deprimiert war. Doch anstatt sich, wie so viele andere tragische Figuren des Rocks, umzubringen, steckte Corgan sein ganzes Können in das nächste Album, um dem Hype gerecht zu werden.

Obwohl Corgan, durch seine Arbeitssucht angestachelt, sämtliche Gitarren- und Basstracks aufnahm, und dabei noch fast alle Lieder selber schrieb, hört man auf dem Album einen extrem unterschiedlichen Sound. «Cherub Rock» und «Quiet» spiegeln authentisch die Grunge- und Heavy Metal Musik der Zeit, während akustische Träumereien wie «Disarm» und Mayonaise» schon fast Dream Pop und Psychedelic-Rock der 70er emulieren. Jede einzelne Sekunde der Aufnahmen wurde minutiös von Corgan unter die Lupe genommen, der keine einzige Schwachstelle in der Produktion der Lieder erlaubte. Die Liedertexte sind auch nennenswert, da diese meist um Depression, Selbstmord und Tod handeln, das zentrale Thema in Corgans Leben.

Nach vier kostspieligen Monaten brutaler Arbeit auf allen Seiten (die Band hatte sich zurzeit wieder vereint) erschien das Album bei Virgin Records. «Siamese Dream» wurde sofort ein grosser Erfolg, und debütierte auf Platz 10 der Billboard 200. Kritiker auf der ganzen Linie gaben der Band glänzende Rezensionen, nannten es sogar ein besseres Album als Nirvanas «Nevermind». Hiermit hatte die Gruppe, angeführt durch Corgan und seine musikalische Vision, den Aufstieg geschafft, und wird bis heute noch zu den Legenden gezählt. Und obwohl sich ihr nächstes Album noch besser verkaufte, wird «Siamese Dream» immer noch als ihr Meisterwerk betrachtet.

Das Album vermischt harten Alternativ-Rock mit einer progressiven Denkweise, und darum ist es höchst empfehlenswert.

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«Superunknown», Soundgarden, 1994

Obwohl Soundgarden schon seit knapp 10 Jahren zusammen gewesen waren und vier Alben herausgebracht hatten, hatten sie Schwierigkeiten, aus der blühenden Seattle-Rock-Szene herauszustechen. Sie waren schon lange die berühmteste Gruppe des grossen Indie-Labels Sup-Pop Records, aber andere, jüngere Bands hatten sie längst hinter sich gelassen (man siehe den Aufstieg von Nirvana, Alice in Chains etc.). Doch anstatt frustriert zu sein, nahm die Gruppe dies als Möglichkeit, etwas Neues zu probieren. Sänger Chris Cornell erlaubte den Mitgliedern mehr dichterische Freiheit, welche nicht nur das Verhältnis zwischen den Musikern verbesserte, sondern auch neue, experimentelle Richtungen mit sich brachte.

Musikalisch ist das Werk weiter entfernt von früheren Punk-Rock Einflüssen und mehr auf der Seite von Pop, Psychedelia und Heavy Metal. Dies gab den Mitgliedern die Herausforderung, so gut wie möglich zu spielen. Diese Aufgabe nahmen vor allem Sänger Cornell und Gitarrist Kim Thayil zu Herzen. Das Resultat dieser Zusammenarbeit hört man in ihrem heute legendären Lied, «Black Hole Sun». Durch komplexe Rhythmen, experimentelle Akkorde und einer äusserst unheimlichen Athmosphäre kreierte die Gruppe ein musikalisches Meisterwerk, das sofort nach der Herausgabe zu einem Megahit wurde. Entscheidend für den Erfolg des Liedes und des ganzen Werks waren Cornells Texte, die eine dunkle Welt voller Trauer, Depression und Sucht gestalteten.

Als das Album im Februar 1994 herauskam, offenbarte sich den Musikern sowie ihrer Plattenfirma eine glückliche Überraschung: «Superunknown» hatte sofort den ersten Platz der Album-Charts erreicht. Gestützt durch «Black Hole Sun» hatte Soundgarden nicht nur den Status ihrer Kollegen erreicht, sondern diesen sogar übertroffen. Bis heute wird das Werk durch Kritiker immer noch als eines der besten Musikalben aller Zeiten gelobt, und sogar nach Cornells Tod vor etwa einem Jahr bleibt es in den Erinnerungen fast aller Rock-Liebhaber.

Liebe, Tod und Erlösung: Diese Themen und mehr verleihen «Superunknown» den Titel eines Meisterwerks.

 

«(What's the Story) Morning Glory?», Oasis, 1995

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Doch was hatte sich währenddessen in England, dem Ursprungsort populärer Rockmusik, ereignet? Wo waren die britischen Punk-Rocker, das englische Nirvana? Tatsächlich befand sich das Land bis etwa 1993 in einer Phase unpopulärer Musik. Obwohl es viele junge Talente gab, waren Grunge und die «American Invasion» in der britischen Rockszene stärker als alle Emporkömmlinge. Doch ein neues, zutiefst britisches Genre würde bald die sogenannten «Yanks» vom Tisch fegen: Britpop.

Eine dieser jungen, britischen Gruppen war nämlich eine Band aus dem ärmeren Norden Englands namens Oasis. Mit ihrem ersten Album («Definitely Maybe», 1994) hatten sie einen Funken gezündet, welcher sich schnell durch die Jugend der Neunziger verbreitete. Das Feuer entfachte jedoch erst Mitte 1995. Oasis war nämlich in einen erbitterten Verkaufswettbewerb mit ihrem Rivalen, der Band Blur, verwickelt. Diese Auseinandersetzung, genannt «The Battle of Britpop», faszinierte neue Zuhörer und gab beiden Bands das perfekte Publikum für ein legendäres Album. Und es waren Oasis, die diesen Wunsch erfüllen konnten.

Die Musik auf dem Album ist simpel, jedoch voller Herzen. In jedem Lied versteckt sich eine tiefere Bedeutung, und die Zusammenarbeit der Gallagher-Brüder (Vocals von Liam, Noel auf der Gitarre), drückte diese voller Sporn aus. Die Hits «Don’t Look Back in Anger», «Champagne Supernova» und natürlich «Wonderwall» schafften es, die Fantasie der britischen Jugend zu ergreifen, und diese zum Kauf des Albums aufzufordern. Letztendlich wurde das Album 2010 als das beste britische Album seit 1980 ausgezeichnet, und die Verkaufszahlen beweisen dies. Oasis gewann am Ende der Neunziger den «Krieg» gegen Blur, und blieb im kulturellen Gedächtnis als die berühmteste Gruppe der Britpop-Zeit zurück.

Einfachheit mit einer ernsten Botschaft, jedoch einem ironischen Unterton. Oasis kann ich nur weiterempfehlen


 
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