Cousins Erleuchtungen – Part II
Unser Filmkritiker Marco Cousin erhielt seine hellsten Erleuchtungen, wo er auch seine dunkelsten Stunden verbrachte; in den Kinosälen der Stadt Zürich. Von diesen Erleuchtungen wird er an dieser Stelle in jeder Ausgabe berichten und Filme vorstellen.
Nerve
Dieser Film basiert, wie Filme es oft tun, auf einem Roman. Dieser trüge hier den Titel Nerve – Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen. Den Meisten von euch dürfte der Trailer dieses Films noch in Erinnerung geblieben sein, oder zumindest die Szene, in der Emma Roberts und Dave Franco zusammen in Unterwäsche aus einer Luxusboutique ausbüxen müssen. Nichtsdestotrotz spricht dieser Film auch ein ernstes und vor allem äusserst aktuelles Thema an: Cybermobbing; genauer gesagt, wozu einen das Internet alles zwingen kann.
Venus, von allen Vee genannt, ist eine typische weibliche Underdog-Romanfigur. Ihr wird oft vorgeworfen, sich nie genug für sich selbst einzusetzen und sie versteckt sich gerne hinter ihrem Fotoapparat, den sie immer für die Schülerzeitungsportraits dabeihat. Erst hinter der Kamera kann sie sich wirklich frei fühlen und riskiert vor allem Augenkontakt mit ihren Portraits, nur dass diese es natürlich nicht bemerken.
Aufgrund einer schiefgelaufenen Angabe meldet sie sich spontan bei einem Online Game an, Nerve. Es ist der neueste Gaming-Trend an ihrer Highschool. Die Schüler entscheiden, ob sie «Watcher» oder «Player» sein möchten und kommen dann in den Genuss eines Spiels, das sie via Social Media förmlich vor die Bildschirme fesselt. Das Konzept ist denkbar einfach: Alle Watcher müssen Herausforderungen, sogenannte «Dares» absolvieren. Tun sie dies erfolgreich innerhalb des Zeitlimits, wird ihnen direkt Geld auf ihr Konto überwiesen. Wer aussteigt, verliert den gewonnen Betrag, egal ob ausgegeben oder nicht. So einfach. Und so fesselnd.
Aber nicht nur als Watcher, sondern noch viel mehr als Player. Vee beginnt kurzerhand auf der Erfolgswelle dieses Spiels zu reiten, denn bei ihrem Player-Partner handelt es sich um niemand anderen als um den beliebtesten Player, Ian. Doch bald wird klar, dass aus diesem Spiel auch ein Leben werden kann, aber weder ein gelebtes noch ein echtes, denn nicht einmal zehntausend Watcher bewahren den Player vor seinem Schicksal, wenn er aussteigt.
Einziger Kritikpunkt an diesem sonst ganz angenehmen Freitagabendfilm ist jener, dass der Film das Thema doch etwas verhätschelt. Mit hübschen Computeranimationen wird versucht, die Filmkulissen wie Computersimulationen aussehen zu lassen, und bestimmte Sätze taugen genauso gut als Schlagzeilen einer kritischen Zeitschrift.
Nebst diesen Versuchen schlägt die eigentliche Absicht des Romans hier in der Verfilmung fehl. Nämlich, dass ein Leben im und fürs Internet genauso unwirklich ist wie eines ohne freien Willen. Selbst wenn man überzeugt ist, eine Wahl zu haben, ist man am Ende nicht mehr freiwillig Watcher oder Player.
NERVE. USA 2016. Thriller von Henry Joost und Ariel Schulman. Mit Emma Roberts und Dave Franco.

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Logan – The Wolverine
Wer Blut nicht mag, sollte die Finger von diesem Film lassen. Ganz allgemein sollte man alles, was man über Wolverine, die X-Men oder allgemein Marvel-Comics kennt, vergessen. Zumindest um sich Logan: The Wolverine anzusehen. Obgleich im Drehbuch vor allem Kindern die Aufmerksamkeit gegolten wird, ist dieser Film der brutalste der gesamten X-Men-Reihe. Wenn auch fast der finanziell erfolgreichste, von Deadpool und X-Men: Future is past abgesehen.
Wahre Ströme von Blut und eine sehr ernste und bewegende Geschichte erwarten das mutige Herz eines treuen X-Men-Fans, der sich in diesem Film noch einmal in eine Zukunftsperspektive begibt. Logans Fitness befindet sich sowohl psychisch wie physisch im Sturzflug, von allen X-Men sind nur noch er, Caliban, ein Albino-Mutant und Professor Charles Xavier in einem verlassenen Wassertank in Mexiko.
Logan selbst wird aufgrund seines Adamantium-Skeletts immer schwächer, seine ursprünglich übernatürlichen Heilkräfte verschwinden und eine wirklich gute Koordination hat er, da er sein Geld jetzt mit Taxifahren verdient, auch nicht mehr. Ist das eigene Skelett erst mal hundert Kilo schwer, ist zehn Stunden sitzen am Tag nicht das beste Mittel gegen Muskelrückbildung. Charles derweil hat seine einst berüchtigte Gabe verloren, beginnt sich nicht mehr zurechtzufinden und wird von Logan mit Medikamenten ruhiggestellt, damit er und Caliban nicht in Todesangst leben müssen, sollte Charles seine Fähigkeiten nicht mehr unter Kontrolle haben. Für alle Bio-Freaks: Charles Xavier leidet unter einer neurodegenerativen Erkrankung, einer Rückbildung der Nervenzellen, die mit dem Verlust zahlreicher Körperfunktionen einhergeht.
Völlig unerwartet wird Logan von einer Frau kontaktiert, die behauptet, seine Tochter zu ihm gebracht zu haben. Logan reagiert völlig abschottend auf alle Bekanntschaften, die ihn und die beiden anderen Mutanten verraten könnten, denn Mutanten werden polizeilich gesucht. Da aber alle ausser unseren Drei gefasst wurden, und nur noch unsere Drei existieren, kann man «gesucht» auch mit «gejagt bis zum Tod» übersetzen.
Dieser Film unterscheidet sich fundamental von allen X-Men-Filmen, weswegen er als letztes Kapitel des Epos auch so gut ankam. Durch die Brutalität, hervorgerufen durch ein exzellent mordendes Zusammenspiel zwischen Logan und seiner Tochter, sowie die melancholisch traurige Stimmung der Dialoge, wird mehr als klar gemacht, dass dies nun das Ende ist.
Der Film schafft es jedoch, ganz ohne mickrige Throwbacks oder Zitate von früheren Charakteren, ein Bedauern über dieses Ende zu erschaffen, sondern vielmehr durch die bereitwillig anmutende Akzeptanz der Figuren. Auch sie spüren, dass ihre Zeit gekommen ist. Somit bleibt allen treuen Fans nichts übrig, als sich von Logan zu verabschieden. Wer die X-Men weniger hardcoremässig genoss, sollte sich diesen Film nie ansehen, denn er ist alles andere als Balsam für die Seele.
LOGAN – THE WOLVERINE. USA 2017. Action-Film von James Mangold. Mit Hugh Jackman, Dafne Keen und Patrick Stewart.
Automata
Heutzutage feiert die Welt jede technische Neuerung gleich so, als ob sie Krebs heilen würde. Sei es das iPhone X oder seien es selbstfahrende Autos. Im Grunde genommen könnte man also sagen, dass technische Neuerung der Schlüssel zum Erfolg, also in unseren Augen zu einer besseren Welt, sei. Automata nimmt dieses Prinzip auf die Schippe und kreiert eine Dystopie statt einer Utopie. Künstliche Intelligenz ist im Manhattan von Automata das Alltäglichste der Welt und Menschen existieren mehr oder weniger nur noch, um die kaputten Roboter zu reparieren. An sich kein wahnsinnig neues Prinzip. Trotzdem schreitet der Film ungewohnt an alle Fragen, die eine solche Welt, verglichen mit der unsrigen, aufwirft, heran. Wer lebt eigentlich noch? Ist künstliche, vor allem sich selbst entwickelnde Intelligenz nicht schon Leben? Darf man einen Roboter verletzen? Schaut man sich Automata an, muss man diese Fragen kritisch, aber auch unvoreingenommen sehen, denn in der von Automata geschilderten Welt verschmelzen die Grenzen zwischen Mensch und Roboter. Veraltete Robote ziehen alleine durch die Wüste, um so der Verschrottung zu entgehen. Bleibt man also als Mensch in der Wüste stecken und trifft diese Kerle, kommt einem der sonst lebensfeindlichste Ort der Welt ganz nett, ja fast bevölkert vor. Mit solchen Gegensätzen arbeitet sich der Film langsam, Stück für Stück, vor und lässt uns am Ende mit einem seltsamen Gefühl im Bauch zurück.
Automata ist ein Film, den man zu jeder Minute abstellen kann und selbst dann noch genug Diskussionsmaterial für mehrere Debatten hat. Ein Muss für alle Zukunftsbegeisterten und jene, die sich von I, Robot mit Will Smith eigentlich mehr erhofft hatten. Denn das findet man hier.
AUTOMATA. ESP, BUL, USA, CAN 2017. SciFi-Film von Gabe Ibáñez. Mit Antonio Banderas, Melanie Griffith und Dylan McDermott
Die Empfehlung des Monats
Das Motto des diesjährigen Zurich Film Festival lautet: «Freude fürs Kino. Freude für alle.» Somit sollen auch alle Schülerinnen und Schüler unserer Schule mit Freude am Festival teilnehmen können, ohne sich zuerst stundenlang mit der Filmliste auseinandersetzen zu müssen. Die Redaktion empfiehlt Matar a Jesus, ein Film von Laura Mora:
Paula, die Tochter eines Lehrers, fährt nichtsahnend mit ihrem Vater durch die Stadt Medellín in Kolumbien, als ihr Vater von zwei Motorradfahrern erschossen wird. Nicht ganz überraschend, wie uns der Film verrät, denn Paulas Vater lehrte dieselben Werte wie unsere Schule, nämlich, dass man möglichst alles kritisch hinterfragen soll.
Doch anstatt sich zu rächen oder zu flüchten, wählt Paula einen unkonventionellen Weg, mit dem Tod ihres Vaters abzuschliessen: Sie nähert sich einem der Killer, folgt ihm und verbringt Zeit mit ihm, sehr viel Zeit. Ständig einen inneren Konflikt auskämpfend beginnt sie, sich mehr und mehr von Medellín zu entfernen und sich der neuen Gegenwart anzunähern.
Gedreht wurde der Film in Argentinien und Kolumbien, die Filmsprache ist Spanisch, die Untertitel Englisch und Deutsch.