Eine Einführung zu Rock
von Patrik Stainbrook
Illustration: Lea Glitsch
Vorwort
Würde ich den durchschnittlichen Mittelschüler fragen, welche Musik er zurzeit hört, dann wäre die Antwort meistens nicht Rockmusik. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch im grossen Ganzen sind sich die Ohren junger Zuhörer heutzutage mehr an Pop- und Rapmusik (die sogenannte «Mainstream-Musik») gewöhnt. Dies ist sicherlich kein schlechtes Zeichen, doch was mich jedes Mal erstaunt, wenn ich zu diesem Thema ein Gespräch führe, ist die Erkenntnis, dass viele Schüler noch nicht einmal versucht haben, sich klassische Rockmusik anzuhören. An was dies liegt, ist zwar auch eine interessante Frage, doch die Aufgabe, die ich mir nach langem Nachdenken gegeben habe, ist zweierlei: Ich will euch einige Beispiele von klassischen Alben darlegen und euch zum Anhören einer unbekannten Musikrichtung anspornen. Ich werde einige klassische Rockalbern aus drei verschiedenen Jahrzehnten auswählen zu diesen dann eine Kritik schreiben.
«A Night At the Opera», Queen, 1975
Wenn immer ich von Leuten gefragt werde, wie ich eigentlich angefangen habe, ernsthaft Rock zu hören, antworte ich immer gleich. Eines Abends sass ich gelangweilt vor dem Computer und erblickte ein Video auf YouTube. Es war ein Liveauftritt von «Bohemian Rhapsody», Queens Meisterwerk und – seien wir ehrlich – eines der besten Rockstücke aller Zeiten. Sechs sprachlose Minuten später war ich ein Rockfan. Die kraftvolle Stimme von Freddie Mercury, die ausgeflippten Zuschauer und der mir immer noch unerklärliche, opernhafte Übergang inmitten des Stückes, alles faszinierte mich. Und dieses Lied ist nur eines der 12 auf diesem Album.
Dieses Album, das Lieder von jedem der vier Mitglieder Queens beinhaltet, ist aber nicht nur ein grosses Fahrzeug für ein legendäres Lied. Sonst hätte es sich nicht weltweit über 6 Millionen Mal verkauft. Nein, es ist das Werk von vier frustrierten Musikern, die jahrelang für relativ wenig Geld geschuftet haben. Gut auch, dass es so ein Erfolg geworden ist, sonst hätten wir wahrscheinlich nichts mehr von dieser Gruppe gehört (sie schrieben später Hits wie «We Will Rock You» und «Another One Bites the Dust»).
Egal, ob man eher langsame, gefühlvolle («Love of My Life», «You’re My Best Friend») oder technisch progressive Stücke («The Prophets Song») bevorzugt, «A Night At the Opera» hat etwas für fast jeden zu bieten. Vielleicht ist es darum so beliebt.
Ich könnte noch seitenlang meine Liebe zu diesem Album schildern (ich habe davon sogar die Platte), doch um alles zusammenzufassen, sage ich nur dies: Hört euch einige Stücke an, danach werdet ihr wissen, was klassische Rockmusik ist!

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«Appetite for Destruction», Guns n’ Roses, 1987
Nachdem ich ein halbes Jahr fast nur Queen gehört hatte und mittlerweile fast alles über diese Gruppe wusste, war ich ein wenig verloren. Welche Musik konnte ich jetzt noch hören? Dann gab mir mein Vater diese CD, und ich hatte die Antwort. Der Einfluss früherer Gruppen kombiniert mit der harten, selbstzerstörerischen Einstellung der Achtziger gab mir ein Hörerlebnis des pursten Nihilismus.
30 Jahre und zahlreiche schlechte Kopien des Stils später ist aber immer noch klar, wieso dieses Werk auf vielen Listen der besten Alben aller Zeiten ist, und zwar wegen den drei legendären Singles «Welcome to the Jungle», «Paradise City» und «Sweet Child O’ Mine». Fast jede Jukebox, fast jede Playlist einer Bar enthält mindestens eines, wenn nicht sogar alle diese Stücke.
Wieso sind sie so legendär geworden? Meiner Meinung nach liegt es an der fast perfekten Kombination von vulgärer Härte und Musikalität. Dies ist spürbar an der kreischenden Stimme von Axl Rose in Kombination mit den meistervoll gespielten Melodien des Gitarristen Slash.
Falls man die masslosen Exzesse der Achtziger wiederbeleben will, ist dies das optimale Album.
«Nevermind», Nirvana, 1991
Die Rockszene am Anfang der 1990er Jahre sah ziemlich kümmerlich aus. Dutzende, von der Industrie fabrizierte, «Glam-» oder «Hair»-Rocker rangen sich um einen lukrativen Vertrag und produzierten, um dies zu erreichen, fade, uninspirierte Musik, was viele junge Hörer verärgerte.
Einer dieser wütenden Jugendlichen war Kurt Cobain, Sänger und Gitarrist einer dreiköpfigen Punk-Band aus Seattle namens «Nirvana». Nirvana hatte 1989 ein erfolgreiches Underground-Album herausgebracht und war bereit, auf das nächste Level zu gelangen. Vor allem Cobain bündelte all seinen Ärger und all seine Frustration in das Werk, das ihn innert zwei Jahren zu einer der grössten und tragischten Persöhnlichkeiten der Rockgeschichte machen sollte.
Der Grund für den komplett unerwarteten Erfolg des Albums lässt sich auf das erste Lied des Albums, «Smells Like Teen Spirit», zurückführen. Das Stück und das dazugehörende Video entfesselten eine neue Generation von Zuhörern, Rebellen gegen die lang erfolgreiche Musikindustrie der Achtziger. Die weitere Geschichte ist bekannt, die masslose Begeisterung des neuen Publikums setzte Cobain arg zu, er konnte mit dem alles sprengenden Hype um seine Person nicht umgehen und beging Selbstmord.
Welch Ironie, dass das neue Mainstream-Publikum zur Selbstzerstörung seiner eigenen Ikone führen sollte.
Das Album ist das perfekte Beispiel der Verknüpfung von Punk («Territorial Pissings») und Klassik-Rock («Come as you are») der «Grunge»-Kultur. Kombiniert mit der depressiven Aura des Werks ist es nicht schwer erkennbar, wieso es über 23 Jahre nach Cobains Tod immer noch neue Zuhörer findet.
Meine Empfehlung für harten, unbarmherzigen Rock, der jedoch klare Gefühle vermittelt.