Fragebogen mit Christoph Meister
Sein Name lädt zu Wortspielen aller Art ein, doch es ist ein treffender. Christoph Meister, den Deutschlehrer, umschwebt tatsächlich die Aura eines Maestro. Als Lehrer bekannt dafür, mit unglaublich wenig unglaublich viel anfangen zu können: Anhand eines halben Verses zum Beispiel eine intensive Diskussion zu entfachen – und das, ohne auf technischen Schnickschnack aus dem «digitalisierten» Unterricht zurückzugreifen. Im Sommer geht der langjährige Lehrer und ehemalige Prorektor der HoPro, der übrigens als Mitglied einer Freimaurer-Loge schon in einer wallenden schwarzen Kluft auf dem Lindenhof gesichtet worden ist, in Pension: Höchste Zeit also, ihn zu bitten, unseren Fragebogen auszufüllen. Doch kann es keinesfalls eine «normale» Version des Fragebogens sein, die wir ihm vorlegen, – für den Maestro haben wir den Fragebogen erweitert. Und allerlei Überraschendes dabei herausgefunden: Was gefällt Christoph Meister an sich besonders? Was ist seine Lieblingsband? Und was muss man getan haben, bevor man die HoPro verlässt? Ein Gespräch über Dostojewskij, Regenmäntel und die Kronenhalle.
Was gefällt Ihnen an sich besonders?
Es fiele mir leichter, das zu bezeichnen, das mir missfällt. Nun aber zu sagen, dass mir gerade diese Neigung besonders gefiele, wäre doch allzu absurd. Ich suche also nach etwas Positivem: Ich glaube eine gewisse Offenheit zu besitzen und ein Bereitschaft und vielleicht sogar Fähigkeit, mich in andere hineinzudenken und einzufühlen. Natürlich erweist sich dieser Glaube in der Wirklichkeit auch immer einmal wieder als Irrtum.
Was bringt Sie zum Lachen?
Vieles, oft die jüngeren Schülerinnen und Schüler, wenn sie durch die Gänge sausen, einander boxen und umarmen, schreien und leise miteinander flüstern – und eben auch selbst so unglaublich oft am Lachen sind. Sogar dann, wenn sie, wie meistens, Gottesdienst vor dem I-Phone halten. Mein Lachen ist ein gutartiges. Es bringt viel Freude zum Ausdruck.
Was löst bei Ihnen Schweissausbrüche aus?
Grammatikprüfungen korrigieren. Und das Zusammenzählen von Viertelpunkten, halben Punkten, Dreiviertelpunkten, ganzen Punkten...
Mit wem würden Sie einen Tag lang Handy tauschen?
Mit niemandem. Nicht, weil ich mein Handy niemandem überlassen möchte, sondern weil ich froh bin, dass ich von all dem, was man im Handy eines anderen Menschen entdecken könnte, nichts wissen muss. Und weil ich auf dem Handy eines anderen oder einer anderen wohl tausend Mal mehr Anrufe entgegennehmen müsste als auf meinem eigenen.
Wen haben Sie zuletzt geohrfeigt?
Ich kann mich nicht daran erinnern, überhaupt einmal jemanden geohrfeigt zu haben. Einmal, im Untergimi, wollte mich ein Religionslehrer wegen einer blasphemischen Bemerkung ohrfeigen, traf aber, weil ich reaktionsschnell auswich, nur die Heizungsröhren hinter mir. Sonst habe ich keine Erfahrungen mit Ohrfeigen.
Ihr teuerstes Stück?
Ein Regenmantel, den ich im Januar bei Grieder gekauft habe, italienische Nobelmarke, selbstverständlich zum halben Preis. Seiher hängt er in einer Schutzhülle im Schrank.
Als Kind wollten Sie sein wie…?
Als Primarschüler las ich immer eifrig die Zeitschrift „Das Tier“. Einer der Herausgeber war Bernhard Grzimek, damals ein berühmter Zoologe, Nationalparkgründer in Afrika und Direktor des Frankfurter Zoos. So einer wie er wäre ich damals gerne geworden.
Ihr Lieblingsschimpfwort?
Hueregopfedammisiech.
Ihre Lieblingsband, Ihr Lieblingsmusiker?
Heute keine. Früher aber – und das Interview führt ja immer wieder in die Vergangenheit zurück – waren es Jimi Hendrix und seine Band „Experience“. Ich besass von diesem Musiker sämtliche Platten, Live-Mitschnitte und Schwarzpressungen. Ist aber im Laufe der Jahre alles verlorengegangen.
Ein Film, den Sie immer wieder anschauen?
Ich kenne mich mit Filmen nur sehr schlecht aus. Ein Film, den ich zur Entspannung schon oft gesehen habe, ist „Sons oft the desert“ (1933) von Laurel und Hardy. Ein Film, den ich neulich entdeckt habe und gerne wieder sehen würde, ist „L’avventura“ (1960) von Michelangelo Antonioni.
Ein Buch, das Sie geprägt hat?
Jedes Buch prägt einen, zumindest in der Phase, in der man es liest, und hat dann seine Nachwirkungen. Eine Zäsur in meiner Leserbiographie stellt die Lektüre von Dostojewskijs Roman „Die Brüder Karamasow“, dar. Es war die erste Begegnung mit Weltliteratur und wühlte mich auf wie noch nichts zuvor. Mein Vater legte mir das Buch, als ich vierzehn oder fünfzehn war, auf den Tisch und sagte: „Das musst du lesen!“ Dieser Befehl hätte in meiner damaligen Verfassung leicht das Gegenteil bewirken können. Ich habe es aber gelesen, und Dostojewskij hat mich nicht mehr losgelassen.
Ihr/e Lieblingsschriftsteller/in?
Das kann ich nun wirklich nicht sagen. Jede Autorin, jeder Autor, wenn sie oder er mir überhaupt etwas bedeutet, ist, wenn ich z. B. in der Schule über längere Zeit etwas von ihr oder ihm lese, „Lieblingsschriftsteller/in“. Also Elfriede Jelinek und Aglaya Veteranyi genauso wie Adalbert Stifter und Gottfried Keller.
Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?
Wüsste nicht, wen ich da nennen sollte. Habe ich mir nie überlegt.
Ein Schauspieler oder eine Schauspielerin, die Sie bewundern?
Auch hier: nicht zu beantworten. Wer mich kolossal beeindruckte, war Theres Giehse, als sie im hohen Alter vor langer Zeit einmal im Schauspielhaus Gedichte von Brecht rezitierte.
Was war Ihr schlechtestes Schulfach?
Physik.
Wieso unterrichten Sie genau Ihr Fach?
Weil ich gar kein anderes unterrichten könnte. Ich meine das nicht zum Scherz. Und natürlich: Die Freiheiten, die man hat, das ist ein wahres Geschenk. Ich glaube, dass man in keinem anderen Beruf ähnlich grosse Freiheiten besitzt.
Welcher Person würden Sie gerne eine Schulstunde geben?
Ich bilde mir nicht ein, jemanden belehren zu müssen.
Wie versuchen Sie, sich im Unterricht Respekt zu verschaffen?
Ich habe die romantische Ansicht, dass der Stoff – also die Kunst –, stellt man sich als Lehrer oder Lehrerin in ihren Dienst, sich selbst Respekt verschafft, und damit auch dem, der sich in ihren Dienst stellt.
Welches Schulfach ist unnötig?
Ich verstehe Ihre Lust, mich in meinen letzten Wochen an der Hopro noch mit Kolleginnen oder Kollegen in eine Fehde zu verwickeln. Bei aller Sympathie werde ich Ihnen diesen Gefallen aber nicht tun.
Auf einer Skala von 1-10, wie beliebt ist Ihres Erachtens Ihr Fach?
Das weiss ich nicht. Nicht sehr beliebt, glaube ich.
Die Strafe, die Sie als Lehrperson am liebsten anwenden?
Auch hier ist die Formulierung interessant. Die Suggestion, dass Strafen lustvoll sei, ist natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Ich strafe sehr selten – vielleicht war das unter dem Gesichtspunkt Ihrer Suggestion ein Fehler!
Haben Sie ein Tattoo?
Nein! Ich verabscheue Tattoos als einen schrecklichen Rückfall in den Tribalismus.
Was ist Ihr Motto?
Motto? Wozu soll mir so etwas nützlich sein?
Was wird Ihnen oft vorgeworfen?
Das kommt darauf an, von wem. Ich weiss es nicht. Ich stelle mir vor, dass es vielleicht Kolleginnen und Kollegen gibt, die denken, ich sei zu nachsichtig und unsystematisch. Kann aber auch nur eine Projektion sein.
Welchen anderen Beruf hätten Sie gewählt?
Ich habe meinen Beruf nicht gewählt. Während des Studiums habe ich nie im Entferntesten daran gedacht, Lehrer zu werden. Danach sind dieser Beruf und ich einander über den Weg gelaufen und ich habe – zu meinem Glück! – seine Richtung eingeschlagen und bin ihm gefolgt. Mein Vater, der ja mit seiner Buchempfehlung nicht falsch lag, war immer der Meinung, ich hätte Psychiater werden sollen. Ob das aber eine gute Idee gewesen wäre?!
Ihr bevorzugtes Suchtmittel während Ihrer Schulzeit?
Offenbar gehen Sie davon aus, dass es da eine Hitparade verschiedener Mittel gab. Es waren die Zigaretten. Ich bilde mir darauf aber nichts ein. Ich habe viele, viele, viele Jahre gebraucht, um davon wieder loszukommen, und bin äusserst glücklich, dass es mir gelungen ist.
Haben Sie schon einmal etwas gestohlen?
Ich habe in der Primarschule im Konsum einen Lippenstift gestohlen und damit eine Rutschbahn bemalt, die zwei kleine Mädchen, Zwillinge und Töchter eines Rechtsanwalts, jeweils hintereinander hinunterrutschten. Es gab einen kleinen Ärger, weil meine Eltern einen langen Brief voller Empörung erhielten und die Rechnung für die Reinigung der Zwillingsröcke bezahlen mussten.
Wie regelmässig löschen Sie Ihren Browserverlauf?
Ziemlich oft.
Wem möchten Sie einmal gehörig die Meinung sagen?
Wie Sie ja wissen, stehe ich der zunehmenden Digitalisierung und Technologisierung des Unterrichts äusserst kritisch gegenüber. Nur – wem sollte ich da meine Meinung sagen?
Ihre Pläne für den Ruhestand?
Nun, das ist wieder so ein weites Feld – ein zu weites Feld für ein Interview. Ich möchte viel Beschaulichkeit und gleichzeitig in Tätigkeiten, die mir wichtig sind, weiterhin wirken (um ein Lieblingswort Goethes zu brauchen). Was ich nicht möchte, ist, wie verrückt in der Welt herumreisen.
Was muss man getan haben, bevor man die HoPro verlässt?
Das ist eine ausgezeichnete Frage! Man sollte sein Bewusstsein, die Kräfte des Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Urteilens so weit entfaltet haben, dass man eine gewisse innere – und wo möglich auch äussere – Freiheit und Selbstbestimmung in seinem weiteren Leben immer anstrebt, sich aber gleichzeitig als Glied einer Gemeinschaft, eines übergreifenden Ganzen erlebt und verhält.
Ihr Geheimtipp zum Mittagessen?
Die Kronenhalle. Nicht hauptsächlich des Essens wegen, das aber auch sehr gut ist, sondern deshalb, weil man dort hervorragend und äusserst zuvorkommend bedient wird. Das hat Seltenheitswert!
Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme!
Vielen Dank auch für Ihre interessanten und anregenden Fragen!